Vom Anti-Korruptionsgesetz über G-BA-Beschlüsse bis zu Hybridversorgern – Berufspolitik wird für Ärzte immer wichtiger
Ärzte, Physiotherapeuten, Politiker, Gesundheitswissenschaftler und IT-Experten – sie alle waren zum Kongress gekommen, um sich mit der Medizin von morgen zu beschäftigen. Das Gesundheitssystem in Deutschland verändert sich in einigen Bereichen derzeit rasant, zum Beispiel bei der Streichung von Leistungen. Auf der anderen Seite ändert es sich nicht schnell genug, zum Beispiel bei der Verzahnung von ambulanten und stationären Strukturen. Doch genau hier muss man ansetzen, um so viele Kosten zu sparen, so dass wiederum immer mehr und nicht weniger medizinischer Fortschritt bei den Patienten ankommt.
Welche Bezahlung ist angemessen?
Gleich zu Beginn fasste der 1. Vorsitzende des BVASK zusammen, auf welchen Gebieten der Verband derzeit viel Arbeit hat. Zum Beispiel beim Anti-Korruptionsgesetz. Der Berufsverband findet es richtig, wenn korruptes Verhalten entsprechend bestraft wird. „Schwierig jedoch wird es“, so Dr. Müller-Rath, „wenn wir nicht wissen, wie die Entgeltsituation gestaltet wird, wenn ich einen Patienten ins Krankenhaus überweise, den ich selbst operiere. Welche Bezahlung ist hier angemessen? Da gibt es die aberwitzigsten Stellungnahmen und wir Ärzte sind in einer Grauzone unterwegs, aus der wir endlich heraus wollen.“ Wenn man 20 Prozent einer DRG erhalte, sei das ähnlich viel, als ob man ambulant operieren würde und damit angemessen. Unangemessen seien hingegen die hinterlegten Arztkosten.
Auch der Beschluss des G-BA zur Gonarthrose beschäftigt den Verband immer noch stark. Was hat er bewirkt? Die OP-Zahlen haben abgenommen, sind fast auf null gegangen. Doch seitdem steigen fast proportional die Knie-TEP-Zahlen. Denn der Patient sucht sich andere Behandlungen, wenn er immer weiter Schmerzen hat. So haben wir nun in Deutschland rund 50.000 Knie-Prothesen mehr. Müller-Rath: „Es ist ein Trauerspiel, aber auf uns wollte in den Beratungen leider niemand hören!“
Beim Thema OPS gibt’s eine neue Gruppe der Knochentransplantationen und zwei neue OP-Techniken zum codieren. Damit entsteht erstmalig eine Split-Situation und betroffene Ärzte müssen von nun an die Codes genauer verwenden. Das hintere Kreuzband ist extrem angehoben worden – hier also endlich auch mal eine gute Nachricht!
Wenn Sachbearbeiter von der Kasse dem Arzt sagen, wie operiert werden soll…
Die neue GOÄ lässt derweil bei der Bundesärztekammer weiter auf sich warten. Bereits in den Jahren 2011, 2014 und nun auch wieder 2017/2018 hat sich der BVASK aktiv beteiligt. Doch: „Wir konnten immer nur an der Legendierung des Kapitels mitarbeiten. Der Erlös wäre nun aber auch mal wichtig. Wir haben das moniert und im November sollte alles fertig sein. Bisher ist nichts geschehen. Der Berufsverband hat seine Arbeit gemacht, jetzt können wir nur noch alles kopfschüttelnd begleiten“, so Dr. Müller-Rath.
Auch der neue EBM mit Leistungszeiten, Sachkosten usw. braucht noch seine Zeit. Müller-Rath: „Derweil haben die Krankenkassen schon ihre eigenen Auslegungen dazu. Während es in Nordrhein ganz gut läuft, gibt es in Westphalen-Lippe ständig Probleme. Manche Ziffern sind einfach nicht erwünscht.“ Da sage schon mal eine Sachbearbeiterin von der AOK dem Arzt, ob offen oder minimalinvasiv operiert werden kann. Viele Kollegen bekommen ihr Geld für erbrachte Leistungen einfach nicht. „Der Verband“, so Müller-Rath, „führt hier intensive Gespräche und das bringt auch etwas!“
Zum Schluss der Einführung zum Kongress ging es noch einmal um die Schulterstudie im Lancet. Sie war medial absolut überzogen und leider deshalb für unser System mit falschen Schlussfolgerungen bestückt. Eine medizinisch recherchierte Stellungnahme aller betroffenen Verbände unter Führung des BVASK wurde dem entgegengestellt.
Wir brauchen Zahlen aus dem klinischen Alltag
Fazit aus solch unausgegorenen Studien: RCT sind Laborversuche. „Was wir aber brauchen sind Feldversuche“, sagte Dr. Müller-Rath. Um dahin zu kommen habe sich der BVASK DART – das deutschsprachige Arthroskopieregister auf die Fahnen geschrieben. Der Aufruf: „Machen Sie alle mit und loggen sich dort ein. Mit diesem System werden wir in der Zukunft echte Daten und Zahlen aus dem klinischen Alltag haben und eigene wissenschaftliche Studien erstellen können. Aber auch für die persönliche Qualitätssicherung jedes Einzelnen ist DART unschlagbar.“
Auf der anschließenden Podiumsdiskussion warf Gesundheitsexperte Dr. Albrecht Klöpfer das Thema „Hybridversorger“ in den Ring. Die Barriere zwischen ambulant und stationär werde immer wichtiger. Über 20 Paragrafen gab es schon, um sie zu überwinden – aber keiner hätte so richtig funktioniert. Deshalb müsse man Hybridversorger aufbauen, die stationär und ambulant bedienen können und deren Finanzierung klären. Das sei kein Hexenwerk. Das Ganze sei nicht über den G-BA auszuhandeln, denn „dort sitzen die Hüter der alten Welt“, so Klöpfer.
Hybridversorger – Lösung des Sektoren-Dilemmas?
Thomas Müller vom Vorstand der KV Westphalen-Lippe sagte dazu: „Das haben wir schon vor 30 Jahren diskutiert? Wir müssen fragen, wo ist der Vorteil für Patienten und Ärzte. Wir sind noch nicht so weit.“ Viele würden das eben anscheinend noch nicht wollen und dann nutze auch so ein Hybridversorger nichts.
Constanze Liebe von der KV Westphalen-Lippe setzt derzeit lieber auf Ärztenetze als auf Hybridversorger: „Wir müssen die Wut im System koordinieren und suchen nach Modellen, wo es klappt.“ Stichworte seien dabei Case-Management mit den Kliniken zu gleichen Teilen stationär und ambulant, denn „die Patienten denken nicht in Sektoren und Sozialgesetzbüchern. Sie wollen einfach bestmöglich medizinisch behandelt werden.“
Dieter Kastrup von der Knappschaft Bahn-See stellte Netzwerke vor, bei denen die Hybridversorgung bereits geprobt werde, zum Beispiel in Thüringen. „Hier brauchen wir mehr Mut, auch in anderen Gegenden und müssen einfach mal machen“, sagte er.
Dr. Albrecht Klöpfer konnte zumindest so viel verraten: Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe soll zum Thema ambulant und stationär demnächst tätig werden. Der Belegarzt könnte dabei zum Vorreiter für die Hybridversorgung werden.
Aus der Seele sprach den anwesenden Ärzten dann aber doch wieder Dr. Müller-Rath: „Viele von uns arbeiten ambulant, auch in Krankenhäusern. Wir wünschen uns dringend einen Rechtsrahmen dafür. Wir wollen nicht, dass unsere Patienten an der Sektorengrenze zerschellen. Aber wir wollen für unsere Arbeit auch adäquat entlohnt werden. Warum können wir nicht selbst stationäre Leistungen anbieten? An vielen Stellen brauche ich das Krankenhaus überhaupt nicht!“
Medizin 4.0 – wie sieht die digitale Zukunft aus?
Medizin 4.0 brachte als Vortrag alle Anwesenden dann auf andere, auf digitale Gedanken. Dominik Bertram vom SAP Health Innovation HUB in Potsdam, stellte die vernetzte Medizin der Zukunft vor. Die Experten arbeiten derzeit daran, eine einzige Plattform für Niedergelassene und Kliniken zu erschaffen. Der Datenaustausch soll dann so erfolgen, dass der jeweilige Arzt sein System nicht verlassen muss. Derzeit laufen Tests mit erfundenen Personen, angenommenen Erkrankungen und Behandlungen.
Bertram: Bei medizinischen Daten reden viele bislang immer nur von Krankenhäusern und Kassen. Technisch sind wir aber schon viel weiter. Inzwischen kann die Technik an der Stimme am Telefon erkennen, ob eine Depression vorliegt, am Stromverbrauch ist abzulesen, ob jemand nachts schlafen kann und an anderen Daten beispielsweise, ob jemand Diabetes hat.“ Jetzt komme es nur noch darauf an, alle Daten sinnvoll auszuwerten, zu verbinden und nutzen zu können.
Von merkwürdigen Indikations-Grenzen bei Knie-TEPs und anderen Leistungen
Zur Indikationsqualität aus Sicht der Krankenkassen hatte der BVASK die AOK eingeladen. Dr. Simon Loeser vom Unternehmensbereich „stationäre Versorgung“ stellte dann auch anschaulich dar, was die Kassen umtreibt. „Mit der Vergütung ist das so ein bisschen wie im Hamsterrad“, sagte er. Je mehr man anbiete, desto größere Mengen werden dann regional gemacht. Sollte sich die Kasse überhaupt in die Indikations-Qualität einmischen? Arthroskopeure sagen, sie könnten mit einer Kniespiegelung helfen. Kassen sagen, es gäbe keinen Nutzenbeleg und zahlen nicht. Aber so einfach ist es nicht – von keiner Seite. Bei den Knie-TEPs, so Loeser, würde sich beispielsweise eine „merkwürdige Grenze zwischen Bayern und Baden Württemberg“ entlang ziehen, was die Mengen betrifft. Dies sieht bei anderen Leistungen ähnlich aus und dem müsse so eine Kasse nun mal nachgehen.
Loeser: „Das Problem ist für uns das Märchen vom Wettbewerb. Denn die Patienten zahlen das ja nicht selbst. Wir haben häufig eine Überversorgung und dürfen nicht immer neue Leistungserbringer zulassen, nur so schützen wir die bestehende Struktur. „
Die Kongressteilnehmer sahen jedoch eher, dass die Kassen ein Mengenproblem und die Ärzte ein Preisproblem haben. Aus arthroskopischer Sicht ist Fakt, dass, wenn man alles genau in die Waagschale wirft, man auch eine Evidenz für Physiotherapien und konservative Therapien überhaupt braucht. Hier gab es dann auch gleich noch einen Vorschlag der Ärzte für die Kasse mit auf den Weg: Wenn man schon Karten mit verschiedenen Versorgungs-Regionen auswerte, dann könne man doch mal eine Korrelation zur Arbeitsunfähigkeit der Patienten herstellen. Denn es geht ja schließlich um die Gesundung des Patienten und seine Wiedereingliederung ins Berufsleben.
Es ging auf dem 28. Jahreskongress des BVASK noch um so vieles mehr, zum Beispiel die richtige Patientenkommunikation, die DRG als politischem Instrument, um aktuelle Praxisdaten für die Orthopädie und die Auswirkungen des Anti-Korruptionsgesetzes.
Vorsicht Falle: Kommerzialisierung und maximaler Gewinnerlös
Doch ein Punkt brachte die Diskussionen noch einmal besonders in Fahrt: die Veränderungen am Gesundheitsmarkt. Zunehmend stoßen private Kliniken auf den Markt, die versuchen ambulant und stationär zu arbeiten. Ihr Ziel: maximaler Gewinnerlös. Angestellte Ärzte sind in diesen Strukturen häufig nicht am Umsatz beteiligt. Sie bekommen ein Fixum und eine Vorgabe, welche Ressourcen sie verbrauchen dürfen. So gewinnen zunehmend Nichtmediziner und Wirtschaftsunternehmen Einfluss im ambulanten Sektor.
Natürlich ist das längst noch nicht flächendeckend so, aber es stellt eine Gefahr für Niedergelassene und ihre Praxen, ob mit oder ohne angestellte Ärzte, dar. Eine Gefahr für Ärzte, bei denen sich bislang in erster Linie alles um das Wohl der Patienten dreht. Wegen der zunehmenden Kommerzialisierung heißt es deshalb Augen auf, wenn jemand eine Praxis abkaufen will und dazu noch ominöse Bedingungen stellt.